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Ein Jahr Familienwohnen - Familien fit fürs Leben machen

Verlässliche und liebevolle Beziehung ist das Kostbarste, das Eltern ihren Kindern geben können. Manchmal gelingt das aus den unterschiedlichsten, meist komplexen Gründen nicht. Kommt es zu anhaltender Überforderung und Konflikten, die das gesunde Aufwachsen der Kinder gefährden, und Erziehungshilfen im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) erzielen nicht die gewünschte Wirkung, ist die Fremdunterbringung der Kinder das letzte Mittel.

Das Familienwohnen – in dem Wohnraum zur Verfügung gestellt wird – schließt die Lücke zwischen mobiler und stationärer Betreuung und ermöglicht es Eltern und Kindern beisammen zu bleiben, mithilfe intensiver sozialpädagogischer Begleitung ihr Leben wieder Schritt für Schritt in die Hand zu nehmen und ihre Beziehung konstruktiv und lebendig zu gestalten.

Ein Jahr Familienwohnen in der Sozialen Initiative

Vor einem Jahr – im Juni 2022 – hat die Soziale Initiative im Auftrag der KJH mit dem Familienwohnen in Langenstein (Bezirk Perg) gestartet. Seit Oktober bzw. Dezember gibt es dieses teilstationäre, familienstärkende Angebot auch in Aspach (Bezirk Braunau) und in Linz. Elf Familien, darunter sind acht alleinerziehende Mütter, ein Vater und insgesamt 30 Kinder im Alter von zwei bis 17 Jahren, werden derzeit von 15 sozialpädagogischen Fachkräften und drei Praktikant:innen an den drei Standorten betreut. Die Mitarbeiter:innen der Sozialpädagogischen Familienbetreuung (SFB) sowie der Erziehungs- und Alltagshilfe (EAH), die zwischen Montag und Freitag von früh bis abends vor Ort sind, unterstützen die Eltern in praktischen Dingen des Alltags, stehen in Erziehungsfragen mit Rat und Tat zur Seite und geben bei Konflikten und persönlichen Krisen Rückhalt.

Wenn Sozialpädagog:innen die Ärmel hochkrempeln - Unterstützung in alltäglichen Dingen

„Wir sind für die Eltern bei Alltäglichem da, wie beim Einkaufen, bei Behördenwegen und Arztterminen. Wir helfen bei Anträgen, der Jobsuche, Finanzplanung, Haushaltsführung oder dabei, den Therapieplatz für sich selbst oder das Kind zu finden. Wir unterstützen die Kinder bei den Hausübungen und leiten die Eltern an zu erkennen, was ihre Kinder dabei brauchen. Große Themen sind Sauberkeit und Ordnung im Haushalt sowie die Selbstorganisation. Beispielsweise, was kaufe ich ein und zwar ausreichend, nicht zu wenig und auch nicht zu viel. Wie teile ich mir das Geld dafür ein, und wie ich koche gesund für meine Kinder“, berichtet Maria Haslinger, Leitung des Familienwohnens ins Aspach. „Ganz wichtig ist dabei, den Familien nur so viel Unterstützung wie nötig und möglichst viel Autonomie und einen klaren Rahmen zu geben. Die Herausforderung ist, ihnen nicht zu viel abzunehmen“, ergänzt die Sozialpädagogin.

Die wirtschaftliche Ausgangslage der Familien ist ganz unterschiedlich. Ein paar sind erwerbstätig und können die Wohnungsmiete selbst (oder zu einem Teil) bezahlen. Bei anderen übernimmt die KJH die Kosten, weil in den Familien das Geld (noch) nicht ausreicht. Wenn sie etwa mit dem Karenz- oder Krankengeld, der Witwenpension oder Sozialhilfe über die Runden kommen müssen oder weil der Schuldenabbau im Vordergrund steht. Deshalb sind die Regelung von finanziellen Belangen und der Umgang mit Geld, die Planung des Haushaltsbudgets und die Schaffung eines finanziellen Polsters wichtige Aspekte in der sozialpädagogischen Arbeit.

Vorbild sein für Eltern und Kinder 

Wesentlich in der Zusammenarbeit mit den Eltern ist es auch, Erziehungsfragen zu besprechen und zu reflektieren, sie anzuleiten, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen, darauf einzugehen und somit eine positive emotionale Beziehung aufzubauen. Das passiert im Einzelcoaching und im Gruppensetting, also in regelmäßigen Austauschrunden, bei denen die Sozialpädagog:innen auch fachliche Inputs geben. „Wobei es bei Erziehungsaufgaben vor allem ums Vorleben geht“, sagt Magdalena Kasperek, Leitung des Familienwohnens in Langenstein. „D.h. im Tun mit den Kindern, beim Spielen, beim Anziehen, beim Lernen und wie wir mit ihnen reden, schauen sich die Eltern viel ab und sie erkennen, was ihre Aufgabe als Mama oder Papa ist. Unsere Vorbildwirkung und das Lernen am Modell sind nicht zu unterschätzen.“ Außerdem gehe es darum, Eltern zu ermutigen, Familienregeln zu etablieren, die einen klaren Rahmen und damit Sicherheit geben, fährt die Sozialpädagogin fort, z.B. was die PC- bzw. Handy-Nutzung, Aufgabenverteilung im Haushalt, gemeinsames Essen oder Bettgehzeiten betrifft.

An den Samstagen werden gelegentlich Ausflüge in der Region unternommen, in den Motorikpark, ins Schwimmbad oder auf einen Bauernhof, um Bewusstsein für konstruktive Freizeitaktivitäten zu schaffen. Denn auch das ist ein Lernfeld für viele Familie: Wie plane ich meine Freizeit, welche sinnvollen Möglichkeiten gibt es, und was kann ich mir leisten? Darüber hinaus erleben die Familien gemeinsame qualitätvolle Zeit, die das Wohlbefinden fördert. 

Warum Familien das Familienwohnen brauchen

Die Gründe, warum die Familien im Familienwohnen einziehen, sind vielfältig und ineinandergreifend. „Es gibt nicht den einen Grund, warum Familien dieses Angebot brauchen“, erklärt Klaus Waldhäusel, Geschäftsfeldleitung Mobile Angebote OÖ in der Sozialen Initiative. „In der Regel gab es bereits über einen längeren Zeitraum eine mobile sozialpädagogische Betreuung, die nicht die erhoffte Entwicklung gezeigt hat. Das Familienwohnen ermöglicht einen Neustart. Die Voraussetzung ist, dass die Familien diese Veränderungen auch tatsächlich wollen. Sie kommen zur Ruhe, weil das Wohnen und die Grundversorgung gesichert sind und sie sich – vereinfacht gesagt – nicht tagtäglich um ‚Überlebensgeschichten‘ kümmern müssen“, ergänzt er. Die Anwesenheit und intensive Begleitung unter der Woche ermöglicht es den Betreuer:innen, unmittelbar in das Familienleben hinein zu sehen. Sie können dadurch von einem Tag auf den anderen anschließen und einzelne Entwicklungsschritte begleiten, sind gerade bei Konflikten schnell greifbar und geben Sicherheit. Stärken und Potenziale werden ebenso sichtbar wie Grenzen, was Familien schon alleine schaffen und was noch nicht. Dabei sei es gleichzeitig ganz wichtig, betont Julia Lehner, Leitung vom Familienwohnen in Linz, die Privatsphäre der Familien zu respektieren und dass sie die Möglichkeit haben, ihre Wohnungstür zu schließen und für sich zu sein. 

Im Familienwohnen, erzählt die Sozialpädagogin, seien vor allem anhaltende psychische Belastungen oder die Erkrankung des alleinerziehenden Elternteils, häufig in Verbindung mit Existenzsorgen oder drohender Delogierung der Grund, warum die Familien aufgenommen werden. Gewalterfahrungen in der Partnerschaft, im Heimatland oder auf der Flucht oder eigene, nicht verarbeitete Kindheitstraumata haben zum seelischen Ausnahmezustand der Eltern bzw. des alleinerziehenden Elternteils geführt. Das hat zur Folge, dass Haushaltsführung, die Grundversorgung sicherzustellen und das tägliche Leben zu organisieren sie dauerhaft überfordern. Häufig sind die Mütter und Väter auch nur begrenzt in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen oder angemessen darauf zu reagieren. „Im Familienwohnen beginnt für mich ein Heilungsprozess. Ich kann mein Leben aufräumen und bekomme es wieder in den Griff“, sagt eine Mutter, die mit ihrem Sohn in Aspach lebt. Wenn sie an ihre Zeit nach dem Familienwohnen denkt, hofft sie, einen sicheren Arbeitsplatz und eine gute Partnerschaft zu haben und dass sich die Beziehung zu ihrem Sohn entspannt hat. „Ein erster Schritt dahin ist, dass die Mutter erkannt hat, dass sie im Familienwohnen ein stabiles soziales Umfeld hat. Und sie erlebt uns Betreuer:innen als verlässliche Ansprechpartner:innen“, berichtet Maria Haslinger. „Darüber hinaus entwickelt sie gerade mit Unterstützung der Erziehungs- und Alltagshelferin Routine in der Haushaltsführung.“

Für bis zu zwei Jahre ist das Familienwohnen vorgesehen, was aus heutiger Sicht für die meisten Familien eine realistische Perspektive ist. Im Individualfall werde die längere Betreuung vermutlich notwendig sein, meint Klaus Waldhäusel und ist zuversichtlich, was die Unterstützung der KJH betrifft, denn diese erkenne den Nutzen und die nachhaltige Wirkung des Angebots. Auch die Leitungen der drei Standorte des Familienwohnens betonen den konstruktiven und unkomplizierten Austausch und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den zuständigen Behörden.

Entwicklungen, die Zuversicht geben

Positive Entwicklungen in der Arbeit mit den Familien wurden bereits nach wenigen Monaten sichtbar. „Die Eltern stabilisieren sich, und mit der äußeren Sicherheit kehrt eine innere Sicherheit ein, auch die Kinder werden ruhiger“, berichtet Maria Haslinger. „Es kommt zu weniger Eskalationen, und die Eltern lernen von Tag zu Tag besser, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und den Alltag mit ihnen zu meistern.“ Dem schließt sich Julia Lehner an. „Wir betreuen eine Familie, da war aufgrund ihrer enormen sozialen Isolation die Schulverweigerung ein großes Thema. Alle Kinder gehen jetzt regelmäßig zur Schule und die Mutter schafft das mittlerweile morgens ohne unsere Unterstützung. Auch dass die Jugendlichen Ideen entwickeln, wie es in Sachen Ausbildung und Arbeit weitergehen soll, ist erfreulich.“ Weitere wichtige Schritte sind, dass die Familien eine Tagestruktur haben, Mütter zielstrebig auf Arbeitssuche sind, manche ein wenig Geld gespart haben und die Miete mittlerweile selbst bezahlen können und dass die Haushaltsführung eigenverantwortlich funktioniert. Die Familien unterstützen einander und sehen das Eingebundensein in die Gemeinschaft als Chance. „Hier haben sich Freundschaften entwickelt, es ist wie eine Familie geworden“, sagt eine allererziehende Mutter aus dem Familienwohnen in Linz. 

Auch dass die Eltern Perspektiven und Ziele entwickeln, wie und wo sie in ein paar Jahren leben möchten und klar den Wunsch nach einem glücklichen Familienleben artikulieren, beobachten die Sozialpädagog:innen mit Zuversicht. „Zwei unserer Familien neigen zu sozialem Rückzug. Mittlerweile nehmen sie an Gruppenaktivitäten teil und sie haben gelernt, dass die Nachbarschaft hilfreich und eine Ressource ist, die ihnen das Familienleben erleichtert. Zum Beispiel, weil sich die Kinder gut verstehen und miteinander spielen“, schildert Magdalena Kasperek. 

Trotz Hürden nach vorne schauen

Eltern, bei denen eine psychische Erkrankung vorliegt oder vermutet wird, sind mittlerweile in ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Im Familienwohnen in Linz und Aspach macht man jedoch auch die Erfahrung, dass Mütter noch nicht bereit sind, diese Unterstützung anzunehmen. „Das ist eine der Herausforderungen in unserer Arbeit. Da brauchen wir viel Geduld und einen langen Atem“, sagt Maria Haslinger. „Die betroffenen Mütter scheinen Angst davor zu haben, einen Rucksack zu öffnen“, fügt Julia Lehner hinzu. „Wir sehen, dass durch die Betreuung und Motivation der Familien positive Veränderungen möglich sind. Oft wird der Weg der kleinen Schritte gewählt und das braucht von den Familien wie auch den Betreuer:innen viel Geduld.“

Man müsse zudem anerkennen, wenn die nachhaltige Stabilisierung im Familienwohnen nicht gelinge, meint Klaus Waldhäusel. Bisher musste nur in Aspach eine alleinerziehende Mutter ausziehen, da ihre psychische Erkrankung einen längeren Krankenausaufenthalt notwendig gemacht hat. Im Zuge dessen hat sich herausgestellt, dass die Unterbringung des 3-jährigen Sohnes in einer Pflegefamilie zurzeit die beste Option für alle Beteiligten ist. „Diese Entscheidung, die alles andere als einfach ist, liegt bei der KJH und findet in enger Zusammenarbeit mit den Eltern oder dem anwesenden Elternteil, unseren sozialpädagogischen Fachkräften und anderen wichtige Systempartnern und -partnerinnen statt. Dabei beauftragt die KJH auch ein externes Gutachten.“

„Ich bekomme in den unterschiedlichsten Dingen des Alltags Hilfe und das entlastet mich“, ergänzt die allererziehende Mutter aus dem Familienwohnen in Linz. „Meine Kinder werden bei den Hausaufgaben unterstützt und auch in der Freizeit wird viel Betreuung angeboten. Ich merke, ich muss nicht alles alleine schaffen und ich bekomme die nötige Zeit, um eines Tages alleine mit den Kindern zurecht zu kommen. Das nimmt mir den Druck, der mich vor der Zeit im Familienwohnen so gestresst hat, und ich atme durch.“ Es liegt auf der Hand: intensive sozialpädagogische Begleitung, Zeit, Stabilität, Vertrauen, Wertschätzung, Empathie und das Anerkennen, das menschliche Entwicklung oft nicht geradlinig ist, sind „die Zutaten“, die das Familienwohnen ausmachen. Damit gelingt es, Familien fit für das eigenverantwortliche Leben zu machen, in dem sie einen sicheren persönlichen Ort schaffen und für das geborgene Aufwachsen ihrer Kinder sorgen können.