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Kunstprojekt gibt jungen Menschen tschetschenischer Herkunft eine Stimme

Im Kunstprojekt Stimm*Raum der Sozialen Initiative geht es um Werke und Stimmen junger Menschen, über die hierzulande oft gesprochen wird, die aber selbst kaum zu Wort kommen: Jugendliche tschetschenischer Herkunft. Wie groß der Bedarf in Österreich ist, ihnen Gehör zu schenken, haben die Lesung und Vernissage im Lentos Kunstmuseum Linz am vergangenen Freitag gezeigt.

Ein etwa dreijähriger Bub geht auf das Meer zu. Man sieht ihn nur von hinten. Er trägt einen rot-weißen Kapuzenpullover und blaue Jeans. Ein zutiefst friedliches Bild. Und doch weckt das Bild ein seltsam anmutendes Gefühl, noch bevor man versteht, woran es erinnert. Die Ähnlichkeit mit Alan Kurdi, jenem dreijährigen Jungen, der im Jahr 2015 im Mittelmehr ertrunken ist und dessen Leichnam an der türkischen Küste angeschwemmt wurde, ist erschütternd. Die Ähnlichkeit mit dem auf traurige Weise berühmt gewordenen Bild von Alan Kurdi ist reiner Zufall. Die 22-jährige Cheda, eine Teilnehmerin von Stimm*Raum, hat für den Fotografie-Workshop Menschen und Gegenstände fotografiert und auch diesen kleinen Buben abgelichtet. Ihr war gar nicht bewusst, sagt sie später, welche Wirkung dieses Bild habe und welche Assoziationen es wecke. 

Der Wirkung ihrer Bilder und Texte waren sich die junge Oberösterreicher:innen mit tschetschenischen Biografien bis zur Lesung und Vernissage im Kunstmuseum Lentos nicht bewusst. Denn die Geschichten, die sie in der Schreibwerkstatt unter Leitung der aus Tschetschenien stammenden Journalistin Maynat Kurbanova geschrieben haben, und die Bilder, die im Workshop, geleitet von der Linzer Fotografin Zoe Goldstein, entstanden sind, sind für sie lediglich Momentaufnahmen aus ihrem Leben - einem Leben zwischen Zuschreibungen und Wirklichkeit, in dem Vorurteile gegenüber ihrer Herkunft zum Alltag gehören und in dem Abweichungen von diesen Zuschreibungen als Ausnahmen abgetan werden. 
 

Berührende Texte geben Einblick in Wünsche, Träume, Lebensalltag und verdrängte Kindheitserinnerungen 

 

Doch wenn man an diesem Abend den Geschichten der tschetschenischen Jugendlichen gelauscht hat, gelesen von bekannten österreichischen Kulturschaffenden, stellt man fest, dass sich diese jungen Menschen von allen anderen in Österreich kaum unterscheiden. „Wenn man diese Texte liest, wird sichtbar, dass ein tschetschenischer Bauer genau so ist wie  ein österreichischer, und dass seine Frau zu ihm auch genauso ist, wie die Frau des hiesigen“, sagt Gerhard Ruiss, Schriftsteller und Musiker, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, der Malika seine Stimme geliehen hat.

Gemeinsam mit Karikaturist Gerhard Haderer, Journalistin und Autorin Mathilde Schwabeneder, Kunstaktivistin Andrea Hummer, Schriftsteller und Slam-Poet René Bauer, Chordirigentin des Landestheaters Linz Elena Pierini, Musiker Philipp Kroll der Band Texta, Künstlerin Claudia Hochedlinger, Stimm*Raum-Projektleiterin Sabine Kerschbaum von der Soziale Initiative sowie Katharina Fernandez-Metzbauer von der Integrationsstelle des Landes Oberösterreich hat er die Texte der jungen Autor:innen vorgestellt. Moderiert wurde der Abend vor rund 200 Besucher:innen von Satiriker und Kabarettist Klaus Oppitz. 

Die vorgetragenen Geschichten wurden im zweisprachigen Buch „Stimm*Raum“, das vor kurzem im Bayer Verlag auf  Deutsch und Tschetschenisch erschienen ist, zusammengetragen. Sie erzählen von Sehnsüchten und Visionen, von Liebe und Leidenschaft, vom Garten der Großeltern und Omas Essen, von  Kindheitserinnerungen und Maulbeeren, die Emma, eine der Stimm*Raum-Teilnehmer:innen in Österreich vergeblich gesucht hat, kurz nach dem sie aus Tschetschenien hierhergekommen ist. Die Geschichten handeln häufig „ganz nebenbei“ auch von Krieg und Flucht. Die meisten Jugendlichen sind als Kleinkinder nach Österreich gekommen. Das, was sie in der frühen Kindheit erlebt und bis jetzt verdrängt haben, kommt nun in ihren Texten zum Ausdruck. Selbst, wenn die jungen Menschen über den Krieg und über das erlebte Leid schreiben, klingen sie weder anklagend noch wehleidig. Im Gegenteil - sie bejahen das Leben und die Erfahrungen, die sie gemacht haben. 
Die Bilder der Jugendlichen, die unter dem Titel „Daheim“ im Rahmen von Stimm*Raum entstanden sind, können noch bis 27. März im Auditorium des Kunstmuseum Lentos besichtigt werden. Die Ausstellung wurde von der Linzer Fotografin Zoe Goldstein kuratiert. Die Bilder und das Buch können käuflich erworben werden. Der Reinerlös aus dem Bücher-und Bilderverkauf geht an karitative Projekte der Sozialen Initiative und kommt Kindern, Jugendlichen und Familien in prekären Lebenssituationen zugute.
 

Foto: Credit lm-media