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Stimm*Raum: Leben zwischen Kulturen, Generationen und Vorurteilen

Das Kunstprojekt Stimm*Raum der Sozialen Initiative, das 2021 mit einem Buch, Lesungen und einer Fotoausstellung seinen Anfang genommen hat, hat am 24. September mit dem Theaterstück „Geschichten, die nicht geschrieben sind“ im Linzer Ursulinenhof OÖ-Premiere gefeiert. Jugendliche mit tschetschenischen Wurzeln geben darin berührende Einblicke in ihre Geschichte, ihr Leben zwischen den Kulturen und Generationen und Vorurteile, mit denen sie im Alltag konfrontiert sind.

Das Stück beginnt mit einem tröstenden Wiegenlied, das eine junge Darstellerin an ihre Großmutter im fernen Tschetschenien erinnert. Im Dunkeln lauschen rund 200 Menschen. Dann bahnen sich zehn Gestalten einen Weg durch das Publikum auf die Bühne, ihre jugendlichen Stimmen erfüllen den Raum: „Alles fühlte sich wie ein nie endender Albtraum an. Menschen weinten und schrien vor Schmerz. Menschen und Tiere froren. Tausende Menschen starben.“ Diese traurigen, zornigen, verzweifelten und manchmal auch albernen Stimmen gehören tschetschenischen Österreicher:innen. Sie sind Kinder von Überlebenden der Tschetschenienkriege, die die autonome Republik im Süden der Russischen Föderation von 1994 bis 1996 und von 1999 bis 2009 erschüttert haben und in denen von russischen Einheiten schwere Menschenrechtsverletzungen verübt wurden. Tausende Zivilist:innen, vorwiegend junge tschetschenische Männer, wurden verschleppt, gefoltert und ermordet.

Geschichten aus dem Leben der zweiten Flüchtlingsgeneration

Neun Monate lang haben diese „Kinder“ unter der Leitung von Journalistin Maynat Kurbanova hart gearbeitet, an ihren freien Wochenenden in einer Schreibwerkstatt Texte verfasst, ihre Stimmkraft und Körpersprache unter professioneller Führung geschult und daraus mithilfe von Regisseurin Lisa Maria Cerha die Choreografie entwickelt. „Das Bedürfnis der tschetschenischen Community, die häufig mit Stigmatisierung konfrontiert ist, selbst zu Wort kommen, ist groß. Stimm*Raum gibt diesen jungen Menschen die Möglichkeit, sich mittels Kunst auszudrücken. Dadurch entsteht Raum für Begegnung und Dialog und Vorurteile werden aufgebrochen“, erklärt Projektleitung Maynat Kurbanova. Die 22-jährige Teilnehmerin Albina Besanova ergänzt: „Man ist so sehr daran gewohnt, das zu sein, was einem zugeschrieben wird, ohne darüber nachzudenken, wie das eigene Leben wirklich ist. In Stimm*Raum kann ich das zum ersten Mal reflektieren, in Worte fassen und zeigen, wer ich tatsächlich bin und was meine Geschichte ist.“

Das Publikum erfährt an diesem Theaterabend, wie es der zweiten Flüchtlingsgeneration geht, die vom Kriegstrauma der Eltern und Großeltern geprägt ist, weshalb das Projekt auch von einer Psychotherapeutin begleitet wird. Eine junge Generation, der sich immer wieder die Frage stellt, wie ein Leben unter den Erwartungen und dem Druck der Eltern, den Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft und der eigenen Zerrissenheit gelingen kann. Mit kräftigen, manche mit leisen Stimmen, ihre Augen direkt auf das Publikum gerichtet, artikulieren sie:

„Ich bin ja nicht im Krieg. Muss mich nicht um mein Leib und Leben fürchten. Habe zu essen, zu trinken, ein Dach über dem Kopf. Ich sollte dankbar sein. Ich bin es aber nicht. Richtig schlimm von mir, oder? Ich und meine Ansprüche.“ Und: „Bist du groß genug, Österreich? Hast du Platz für meinen Schmerz? Platz für das Land in mir? Platz für meine Wut dir gegenüber? Platz für meine Art, dich zu lieben? Sag, hast du Platz für mich?“

Die Wanderausstellung mit Lesung oder Szenen aus dem Theaterstück kann von Interessierten in die Gemeinde, Schule oder das Bildungshaus geholt werden! Alle Infos und Kontakt: www.soziale-initiative.at/stimmraum